Zeit für Veränderung, Zeit für ein neues Bildungsbewusstsein

Nachhilfeunterricht.de
Claudia Urrea

Nicht jeder, der Englisch studieren will, muss ein Einserkandidat vorher gewesen sein. Das deutsche Schulsystem ist ganz anders zu bewerten als das englische, zum Beispiel. Als englische Muttersprachlerin erinnere ich mich sehr gerne an meinem Englischunterricht in der Sekundarstufe I in der internationalen Schule, die ich einschließlich der 7. Klasse besucht habe. Die Englischlehrer, die aus 6 verschiedenen Kontinenten kamen, hatten eins gemeinsam: Sie konnten einem für die englische Sprache begeistern. In meiner Klasse waren Kinder aus 26 verschiedenen Nationen, querbeet durch alle Kontinente. Ich war jeden Tag mit verschiedenen Akzenten und Mentalitäten konfrontiert. Aber wir hatten als Schüler eins gemeinsam: Wir wollten alle Englisch lernen und sprechen. Wir waren neugierig, als wir Stück für Stück die englische Literatur entdeckten und uns dafür von den verschiedenen Lehrern begeistern ließen.

Aber im deutschen Schulsystem ist die Vermittlung des Fachs Englisch nicht so. Es ist alles sehr theoretisch, am Lehrplan gebunden und die Lehrer stehen sehr unter Druck, diesen laut der verlangten Konformität des Bildungsministeriums umzusetzen. Sehr häufig sehe ich in den Englischklassen frustrierte Schüler, genervte Lehrer, mangelnde Motivation und ein sinnloses Durchhalten Woche für Woche, damit der Plan läuft. Ist das der Sinn von Englischunterricht? Wohl kaum.

Warum schafft es das deutsche Schulsystem nicht, die Schüler von Anfang für diese Sprache zu begeistern, wie beispielsweise andere Länder wie Finnland, Schweden oder die Niederlande, die immer sehr gut in den PISA-Studien im Fach Englisch abschneiden? Ich stelle immer wieder mit Erschrecken fest, viele deutsche Englischlehrer nicht gewillt sind, den Schülern gute Noten zu gönnen. Es fällt den Engländern viel leichter ein Kind für seine guten Leistungen zu loben als einem Deutschen. Hier in Deutschland muss man sehr viel mehr leisten, um ein bisschen Applaus zu bekommen. Man ist hier reservierter, nicht gewillt Bestnoten unter den Schülern zu verteilen und hinzukommt diese selbstzerstörerische Neidkultur, wofür die Deutschen weltbekannt sind.

Das Resultat sieht man am Versagen des deutschen Schulsystems, Kindern die englische Sprache mit Freude, Interesse und Begeisterung beizubringen. Daher sprechen viele Schüler schlechtes Englisch und haben enorme Schwierigkeiten, sich dieser Sprache anzunähern und sie zu verinnerlichen. Das sind meine Beobachtungen nach 35 Jahren Lehrerfahrung. Würde man diese Tatsache dem Bildungsministerium aufzeigen, wäre das für sie die unbequeme Wahrheit. Fehler möchte keiner dort zugeben, Unvollkommenheiten auch nicht. Man sitzt die Defizite aus und beharrt stolz auf seine Unvernunft. Noch vor Jahren ging es sogar so weit, dass die Deutschen vor lauter Scham, aus der PISA-Studie ausgetreten sind, weil sie sich mit den Defiziten in ihrem Bildungssystem und den entsprechenden Schlechtbewertungen nicht weiter blamieren wollten, oder vielmehr tiefer sinken wollten. Eine ernüchternde Tatsache.

Was machen also viele Eltern? Sie weichen auf Privatunterricht oder Privatschulen aus. Viele machen sogar Home-Schooling vor lauter Verzweiflung, weil sie das Gejammere ihrer Kinder, immer schlechte Noten nach Hause zu bringen und den damit verbundenen Druck der einzelnen Lehrer nicht mehr ertragen können. Privatunterricht heißt für sie Freiheit – der Druck ist weg.

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Die Kinder können wieder Kinder sein, draußen mit anderen Kindern spielen und nicht nur von Anbeginn erwachsene Kinder sein, wie Roboter ticken und funktionieren und stundenlang pauken für Bestnoten. Kinder brauchen Vorbilder und davon haben die Engländer und ihre weltweit erhabene Kultur so viele. Noch heute denke ich gerne an meinen Englischunterricht in meinen Kindes- und Jugendjahren zurück. Und im Vergleich dazu, wie unglücklich ich auf dem Gymnasium hier in Deutschland war, mit der Art und Weise, wie die einzelnen Lehrer uns damals vor 30 Jahren Englisch vermittelt haben. Und das Traurige ist: Es hat sich nichts geändert. Strukturell ist alles gleich geblieben. Und dann wundern sich die Deutschen, dass ein durchschnittliches Kind in Finnland im Alter von 9 Jahren schon fließend Englisch sprechen und verstehen kann, während unsere gleichaltrigen Grundschüler hier noch mit 30 Vokabeln Englisch am kämpfen sind? Was ist nur los mit diesem ganzen deutschen Schulsystem? Wann wachen die Verantwortlichen dafür endlich auf und ändern die Dinge zum Positiven?

Die andere Wahrheit ist auch: Wir haben in diesen Bildungsministerien viel mehr Fachidioten sitzen, die entscheidende Ämter bekleiden, als in einem Land wie Finnland, zum Beispiel. In Finnland werden die Lehrer nicht nach Bestnoten eingestellt, sondern danach, ob sie für ihr Fach brennen, ob sie als Lehrer wirklich mit Begeisterung den Kindern die englische Sprache beibringen und vermitteln können. Das wäre der richtige Ansatz. Aber in Deutschland ist es nicht so. Hier guckt man nur auf die Abschlussnoten eines Lehramtsabsolventen und nicht auf seine Persönlichkeit. Wie schade. Diese sogenannten Bildungsbürokraten in den Höchstämtern wissen nicht, was sie verpassen. Noch vor 3 Monaten habe ich zwei junge Englischlehrerinnen an einer Realschule und Gymnasium gefragt: Liebt ihr das, was ihr tut? Und die Antworten waren sehr ähnlich: Nein, aber als Lehrer verdient man sehr gutes Geld und deswegen haben wir dieses Fach studiert. Ach so, dachte ich - immer dem Geld nach, aber nicht der Begeisterung und Überzeugung nach. Tagsüber schauspielen sie vor dem Lehrerkollegium gute Lehrerinnen zu sein und, wenn sie zu Hause ankommen sind, sind sie vom Tagesablauf fix und fertig, frustriert und todunglücklich diesen Weg gewähnt zu haben. Nur des Geldes wegen. Was ist das für eine Zukunft? Was ist das für ein Leben? Es gibt zu viele von diesen Lehrern, die sich durch den Lehreralltag quälen und sich während des Unterrichtes einbilden, glücklich zu sein, damit sie den ganzen Stress ertragen können. Sicherlich eine Doppelmoral. Aber das ist die Realität. Leider.

Was ich mir wünsche? Begeisterung für die Schüler und von den Schülern, die nicht nur Englisch, sondern auch jedes andere Fach lernen. Ich wünsche mir Lehrer, die von ihren eigenen Qualitäten als Lehrende überzeugt sind, den Kindern ein Vorbild zu sein und ihnen wirklich diese Flamme der Begeisterung und der Neugier für das Fach vermitteln zu können. Dazu gehört nicht nur Selbstmotivation, sondern auch überzeugendes Interesse für das zu vermittelnde Fach. Schade, dass es zu wenig davon hier in Deutschland gibt, sonst sähe das ganze Bildungssystem ganz anders aus. Lernen wir doch von unseren Nachbarn Dänemark, Schweden, Finnland und die Niederlande. Anstatt auf stures Recht zu beharren, erkennen wir doch unser Unrecht in dieser Sache. Veränderung entsteht durch eine neue Offenheit und Gesinnung, durch ein anderes Denken – da müssen wir ansetzen. Bleibt nur die Hoffnung für unsere Kinder, dass sie auf gute Lehrer und Menschen treffen, die ihnen diesen wunderbaren Esprit der englischen Sprache vermitteln. Das ist zwar nur ein Wunsch, aber aus den größten Wünschen sind gute umsetzbare Wirklichkeiten geworden. Wer weiß, vielleicht trifft dieser Gedanke auf fruchtbarem Boden und es entwickelt sich ein neues Bewusstsein im Bildungssystem hier in Deutschland. Das wünsche ich mir.

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Claudia Urrea
Content Specialist
Englischlehrerin und Dozentin
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